Salerno – diese Hafenstadt ist noch ein echter Geheimtipp

by Peter Amann

Salerno ist ein Geheimtipp. Diese schöne, traditionsreiche Hafenstadt liegt an der Südspitze der Amalfiküste und ist von dort und auch vom nahegelegenen Neapel mit dem PKW und den öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut erreichbar. Sie bietet nicht nur ein wunderschönes Panorama, eine gepflegte und sehenswerte Strandpromenade und eine romantische Altstadt sondern auch ein besonderes Highlight.

Die berühmte „Scuola Medica Salernitana“ (Ärzteschule) der Stadt war die erste Hochschule bzw. „Universität“ des europäischen Mittelalters. An dieser konnten auch Frauen Medizin studieren und gleichberechtigt als Dozentinnen lehren. Das war für Jahrhunderte einzigartig in Europa. Im Giardino della Minerva, dem Lehrgarten der Ärtzteschule, wurden seit dem 14.Jahrhundert Heilpflanzen angebaut.

Die Geschichte der Ärzteschule ist zugleich auch die Geschichte der süditalienischen Hafenstadt. Eine Legende schreibt die Gründung der Schule vier Ärzten zu, dem Juden Helinos, dem Griechen Pontus, dem Araber Abdela sowie dem Lateiner Salernus und benennt damit die vier an ihrer Entstehung beteiligten Kulturen.

Der Giardino della Minerva in Salerno, ein Hort(us) der Gelehrsamkeit

Vom Dom führt ein lauschiger Spaziergang in westliche Richtung über die Via Trottula de Ruggiero zum Giardino della Minerva. Durch privates Engagement wurde dem mittelalterlichen Lehrgarten neues Leben eingehaucht.

Wo noch Anfang der 1990er Jahre Müll lag, sprudeln heute arabische Brunnen und sprießen heilkräftige Pflanzen, wie sie bereits Matteo Silvatico (1285–1342), Leibarzt des Königs Roberto D’Angiò, zur Zubereitung von Arzneien gezogen hatte.

Damit darf der Giardino della Minerva als ältester Botanischer Garten Europas gelten, auch wenn diese Position offiziell vom 1545 gegründete Orto Botanico di Padova eingenommen wird. Während die Anlage liebevoll restaurierten Terrassen und Pergolen aus der Barockzeit stammt, folgt die Anordnung der Gewächse den pragmatischen Prinzipien der mittelalterlichen Vier-Elemente- bzw. Vier-Säfte-Lehre.

Der botanische Garten von Salerno
Vom botanischen Garten blickt man auf den dramatischen Küstenschwung der Costiera Amalfitana. Foto: Peter Amann

Bausteine des Lebens

Die antike Vorstellung, die Welt sei aus den vier Elementen Luft, Wasser, Feuer und Erde aufgebaut, war auch Grundlage medizinischen Denkens. Den Elementen entsprachen vier Eigenschaften: kalt, feucht, warm und trocken. Und man dachte, dass vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – die Gesundheit und das Temperament der Menschen beeinflussten.

Diese Vorstellung blieb noch bis Mitte des19. Jahrhunderts weit verbreitet. Ungleichgewicht bedeutete Krankheit, mit der Verabreichung des richtigen Mittels suchte man die Harmonie im Körper und Geist wiederherzustellen. Durch Versuch und Irrtum hatte man die Wirkung vieler Pflanzen erforscht, den Anschauungsunterricht gab es im Lehrgarten.

Praktisches Beispiel: Müde vom zu vielen Lernen, die Füße heiß gelaufen? Da wäre ein erfrischendes Zitronengelato doch genau die richtige Medizin! Wohltuend sind auch ein Glas Kräutertee oder ein würziges Craft-Bier auf den Terrassen des Giardino della Minerva.

Es gibt in ganz Salerno wohl kaum einen einladenderen Ort, um ein friedliches Stündchen zu verbringen. Über die Dächer der Altstadt genießt man den Blick auf den Golf von Salerno und den dramatischen Küstenschwung der Costiera Amalfitana. Die Zitronengärten an der Amalfiküste – sind einen Ausflug wert!

Die Medizinschule von Salerno- Ganzheitliche Heilkunst seit dem 11. Jahrhundert
Ganzheitliche Heilkunst gab es in Salerno schon im 11. Jahrhundert.Foto: Peter Amann

Freies Denken, ganzheitliche Heilkunst

Einen bedeutenden Beitrag leistete das im 7. Jahrhundert gegründete Benediktinerkloster S. Benedetto. Dort war es Ordenspflicht, sich mit Wissenschaften zu beschäftigen; das Studium des Hippokrates wurde ausdrücklich empfohlen. Damit setzte sich eine Tradition wissenschaftlichen Denkens fort, die mit der antiken Philosophenschule von Elea (Velia) südlich von Salerno begründet worden war.

Die Anwesenheit heilkundiger Benediktinermönche und jüdischer Ärzte zog Kranke und Genesende nach Salerno. Im Laufe der Zeit schlossen sich die Ärzte zu einem Bund zusammen, dem „Collegium hippocraticum“. Aus dem 10. Jahrhundert stammen die ersten gesicherten Berichte von der Medizinschule.

Bemerkenswert ist, dass, während in Europa noch alle Gelehrsamkeit hinter Klostermauern lag, diese Schule als erste von Laien geleitet wurde. Männer und Frauen, orthodoxe und katholische Christen, Juden und Araber traten gleichberechtigt als Lehrer und Schüler auf. Die Texte der Ärztin Trotula De Ruggero aus dem 11. Jahrhundert zählten noch Jahrhunderte später zur medizinischen Standardliteratur. Neben Medizin wurde in Salerno auch Recht, Philosophie und Theologie gelehrt.

Der Garten der Minerva in Salerno ist eine Ruheoase
Die Medizinschule von Salerno, eine der wichtigsten Quellen europäischer Heilkunst. Foto: Peter Amann

Fruchtbarer Austausch zwischen Orient und Okzident

Seiner geografischen Lage und den weit verzweigten Handelsbeziehungen in den Orient verdankt Salerno eine wichtige Mittlerrolle im Kulturaustausch zwischen Abend- und Morgenland. Im Widerspruch zu islamischer wie christlicher Ärztetradition, die das Blutvergießen aus religiösen Gründen scheute, entwickelte der im 11. Jahrhundert in Karthago geborene Constantinus Africanus die Chirurgie als wissenschaftliche Disziplin.

Der arabische Einfluss verstärkte sich noch in normannischer Zeit, 1140 erließ König Roger II. eine Studienordnung. Auch Kaiser Friedrich II. förderte die Medizinschule, doch die von ihm veranlasste Gründung einer zweiten Universität in Neapel leitete unabsichtlich den allmählichen Niedergang der Schule von Salerno ein.

Den Schlussstrich zog Joachim Murat, als er 1812 bei der Neuorganisation des öffentlichen Erziehungswesens ausschließlich der Universität Neapel zugestand, medizinische Diplome zu erteilen. So erklärt sich die kuriose Situation, dass die Universität Salerno mit heute über 50.000 eingeschriebenen Studenten lange Zeit keine Fakultät für Medizin aufwies.

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Stimmungsvolle Impressionen aus der Sicht eines Einheimischen

Gesundheitstipps der Medizinschule von Salerno

Wenn die Bedeutung der Medizinschule in Salerno selbst ab dem 13. Jahrhundert schwand, so lebte ihr Geist andernorts fort. Ein Bestseller in allen europäischen Sprachen blieb das bis ins 19. Jh. vielfach aufgelegte »Regimen sanitatis Salernitanum« aus dem 12. Jahrhundert, eine in der Tradition von Hippokrates stehende Anleitung zur Gesundheit.

Die Ratschläge sind von herzerfrischender Praxisnähe, Hinweise zur Körperpflege und Diät lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:

  • „Aufgestanden, mit kaltem Nass wasch Augen und Hände.
  • Hin und her dann wandle mit Maß und strecke die Glieder.
  • Maßvoll, kämme das Haar und putz dir die Zähne; denn solches stärkt das Gehirn und kräftigt auch die übrigen Glieder.
  • Bad‘ warm, steh oder geh nach dem Essen, doch meide die Kälte.
  • Sprudel und Spiegel des Wassers und Gras erquicken die Augen.
  • Morgens schau auf die Berge, doch abends erstrebe die Quelle.“

Verwunderlich ist allenfalls die Warnung vor dem Mittagsschlaf in dem Land, das heute der Siesta so hingebungsvoll huldigt! Vers III. lautet: „Nach der Mahlzeit schlummere du wenig oder auch gar nicht. Trägheit und Fieber, ein Schnupfen gar samt Schmerzen des Kopfes: Solches erblüht dir all vom faulen Schlafe nach Mittag.“ Hier wirkt der benediktinische Leitspruch „Ora et labora“ (Bete und arbeite) nach.

Mehr als 800 Verse beschreiben detailliert die Heilwirkungen einzelner Pflanzen. Vor zwanzig Jahren wurde am westlichen Altstadtrand ein Heilpflanzengarten der Medizinschule restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, während in der entweihten Chiesa San Gregorio ein multimediales Museum mit zahlreichen Dokumenten und Abbildungen die Geschichte der Scuola Medica Salernitana erzählt.

Im Garten des BB Villa Avenia
B&B Villa Avenia, ein herrschaftlicher Palazzo in direkter Nachbarschaft des Giardino della Minerva. Foto:Peter Aman

Weiterführende Informationen

Giardino della Minerva, Via Ferrante Sanseverino 1, Tel. 089 25 24 23, www.giardinodellaminerva.it. Im Febr. bis 13 Uhr, Nov., Dez. und Jan. bis 16.30 Uhr, ab März sukzessive länger, Juni bis Aug. schließlich bis 20 Uhr. Mo geschl. Eintritt 3/1,50 €.

Museo della Scuola Medica Salernitana, Via Mercanti 74, Tel. 08 92 57 61 26, www.museovirtualescuolamedicasalernitana.beniculturali.it. Di bis Sa 9–13 Uhr, Do, Fr und Sa auch 17–20 Uhr, So 10–13 Uhr. Eintritt 3/2 €.

Übernachten in Salerno

Villa Avenia, Via Porta di Ronca 5 bzw. Via T. Tasso 83,  Tel. 089 25 22 81, Mobil 34 03 61 18 13,  34 91 96 16 57, www.villaavenia.com. Paola Pagano und ihre Tochter Elena Monaco beherbergen Gäste in einem herrschaftlichen Palazzo in direkter Nachbarschaft des Giardino della Minerva. Bei gutem Wetter wird das Frühstück auf der Terrasse mit Gartenblick serviert. Zur anderen Seite genießen die komfortablen Zimmer die Vista über die Dächer der Altstadt auf Hafen und Meer.

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